„Ich halte es für einleuchtend, daß ein Gebäude ohne jegliche Verzierung allein auf Grund seiner Masse und Proportion ein Gefühl der Erhabenheit und Würde vermitteln kann. Nicht einleuchtend erscheint mir, daß die Verzierung wesentlich zur Steigerung dieser elementaren Werte beitragen sollte. Warum also verwenden wir das Ornament? [...] Wenn ich diese Frage in aller Aufrichtigkeit beantworten soll, dann möchte ich sagen, daß es vom ästhetischen Standpunkt aus uns nur zum Besten gereichen könnte, wenn wir eine Zeitlang das Ornament beiseite ließen und uns ganz und gar auf die Errichtung von in ihrer Nüchternheit schöngeformten und anmutigen Bauwerken konzentrierten. [...] Wenn wir dann genügend Sicherheit in reinen und einfachen Formen erlangt haben, werden wir sie aufheben; [...] wir werden nicht willens sein, irgend etwas zu tun, wodurch diese Formen weniger rein, weniger edel würden. Aber wir werden gelernt haben, daß das Ornament ein geistiger Luxus und keine Notwendigkeit ist; [...]

Louis H. Sullivan 1892 1

Dieser Text des amerikanischen Architekten Louis Henry Sullivan entstand zur Zeit des Baubooms in Chicago am Ende des 19. Jahrhunderts. Sullivan beschrieb in geradezu prophetischer Weise die Architekturentwicklung des 20. Jahrhunderts: Ornament und Dekoration wurden 1908 mit einem Verbrechen gleichgesetzt und es folgte eine Zeit der „nüchternen” und „reinen” Architektur. Erst gegen Ende des Jahrhunderts sollte das Thema Ornament und Dekoration für das Bauen wieder eine Rolle spielen.

Der Begriff Ornament kommt von dem lateinischen Wort ornare = schmücken. Vereinfacht betrachtet versteht man unter Ornament in der Architektur alle Formen der Dekoration. Dazu gehören rein schmückende Elemente sowie konstruktive Bauteile, die über ihre funktionsbedingte Form hinaus gestaltet wurden. Ein gutes Beispiel ist die griechische antike Säule, welche tragende Funktion und schmückende Formen vereinigte.

Das Bauornament fand vor allem bei repräsentativen Bauten Verwendung, also bei Gebäuden für Religion, Staat und wichtige Persönlichkeiten. Seine Ausführung und Pracht informierte über die Art der Nutzung eines Gebäudes und über Macht und Reichtum des Erbauers. Es hatte eine kommunikative Funktion und kann als eine Art architektonisches Statussymbol beschrieben werden.

Der Ursprung des europäischen Ornaments waren die Tempelbauten der griechischen Antike. Durch Kopie, Weiterentwicklung und Rückgriffe entwickelte sich die Ornamentik in der Architektur und jede Epoche hatte ein eigenes Verständnis für dekorative Formen. Diese Entwicklung wurde unterbrochen durch die Folgen der industriellen Revolution am Ende des 19. Jahrhunderts. Der starke Wandel im sozialen, politischen, kulturellen und technischen Bereich führte in der Architekturdiskussion zu der Ansicht, dass das über Jahrhunderte aus Tradition und Handwerk entstandene Ornament nicht mehr Ausdruck des modernen Zeitgeists sein kann. Vor allem neues Baumaterial, neue Bauaufgaben und industrielle Fertigungsmöglichkeiten bedingten die Krise des Ornaments. Als Reaktion sowohl auf die Dekorationsformen des Historismus als auch auf den überschwänglichen Jugendstil verfasste Adolf Loos 1908 den polemischen Aufsatz „Ornament und Verbrechen”, der in seiner Vereinfachung „Ornament ist Verbrechen” die Architektur des letzten Jahrhunderts bestimmen sollte. Die architektonische Moderne berief sich auf Funktionalität und Rationalität als wesentliche Eigenschaften des Bauens - dekoratives Ornament wurde als überflüssig abgetan und verbannt.

Die Abwendung und Verdrängung vom Ornament im 20. Jahrhundert führte zu einem Verlust der ornamentalen Handwerkstradition und Gestaltungspraxis. In den letzten 20 Jahren lässt sich jedoch ein Umbruch in der Baupraxis feststellen, der eine neue Art von Ornament hervorbrachte. Es handelt sich dabei nicht um eine Renaissance historischer Motive, wie es bei der ersten Rückkehr des Ornaments in der Postmodernen Architektur der Fall war. Das zeitgenössische Ornament hat Inspirationen und Motivationen ohne vergleichbare Vorbilder in der Geschichte der Architektur. Diese aufzuzeigen und zu analysieren ist das Thema meines Dissertationsvorhabens.

Was ist die Inspiration für das zeitgenössische Ornament? Wie entsteht es? Kann man trotz der offensichtlichen Unterschiede zu historischen Vorbildern von einer Rückkehr sprechen? Oder handelt es sich nicht vielmehr um eine Neuentdeckung?

Dissertationsvorhaben

Arbeitstitel:
Die Neuentdeckung des Ornaments
Der Wandel vom historischen Bauornament zum flächigen Textur-Ornament

Betreuer:
Prof. Dr. Manuel Cuadra - Fachbereich Geschichte der gebauten Umwelt
Prof. Wolfgang Schulze - Fachbereich Entwerfen im städtebaulichen Kontext

Als Grundlage des Dissertationsvorhabens soll Bedeutung und Entstehung des Ornaments im Werk des Schweizer Architekturbüros Herzog & de Meuron untersucht werden. Ihre Projekte haben in den letzten 20 Jahren die Rückkehr des Ornamentalen in der Architektur Mitteleuropas geprägt. Wie bei keinem zweiten Büro lässt sich die Entwicklung zum Ornament über einen langen Zeitraum und anhand vieler Arbeiten verfolgen. Durch die große Bedeutung der Projekte, z.B. die Allianz-Arena in München oder die geplante Elbphilharmonie in Hamburg, haben Herzog & de Meuron eine hohe Bekanntheit und einen starken Einfluss sowohl auf Architekten als auch auf Architektur-Laien. Deshalb ist dieses Büro prädestiniert für die Betrachtung der Entwicklung des Ornaments in der zeitgenössischen Architektur.

Ausgehend von Herzog & de Meuron soll die Untersuchung auf weitere aktive Büros ausgeweitet werden, die sich heute mit dem ornamentalen Gestalten beschäftigen. Die Schwerpunkte der Forschung sind Inspiration, Motivation und Entwurfstechnik von und mit Ornamenten in der architektonischen Praxis.

Eine besondere Rolle bei der Entstehung des Ornaments heute spielt die Zusammenarbeit von Architekten und Künstlern oder das Arbeiten nach künstlerischen Strategien. Die Orientierung an architekturfremden Disziplinen und die Suche nach einem bildlichen Ausdruck ist eine wesentliche Neuerung der aktuellen Architektur und Voraussetzung für die Ausprägung des heutigen Ornaments. Das synergetische Verhältnis von Architektur und Kunst als Grundlage einer zeitgenössischen Form des Ornaments soll in der Arbeit besonders berücksichtigt werden.

Die Vielzahl an realisierten ornamentalen Fassaden der letzten Jahre zeigt die hohe Relevanz des Themas in der architektonischen Berufspraxis. Die aktuelle wissenschaftliche Forschung konzentriert sich jedoch stark auf die theoretische und historische Betrachtung des Themas. In dieser Zeit des Wandels und der Neuentdeckung des Ornamentalen kann praxisorientierte Forschungsarbeit neue Informationen für die Architekturlehre und Ornamentdiskussion bieten.

Tabellarischer Lebenslauf

08.03.1977geboren in Unna
1997/98Zivildienst an der Umweltstation Westfalen in Bergkamen
1998Immatrikulation an der Gesamthochschule Kassel im Studienbereich Architektur
2003Diplom I bei Prof. W. Schulze und Prof. L. Spuybroek
2004/05Erasmus-Stipendium an der Università degli studi di Palermo
2006Diplom II bei Prof. W. Schulze und Dipl.-Ing. S. Dotlic

Praktika und Beruf

1999-2001Praktika bei der Zimmerei Der Holzwurm in Unna
2001/02Praktikum im Architekturbüro Stachowiak und Deterding in Dortmund
2002-2004Praktika bei Die Bauhütte - Architektur und Denkmalpflege in Mühlhausen (Thüringen)
seit 2005Mitarbeit bei Horst & Wicke Design in Kassel

Links

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Universität Kassel, Fachgebiet Geschichte der gebauten Umwelt:
http://www.cuadra.de/gdgu.de/

Horst & Wicke Design Kassel:
http://www.horstwicke.de/

Anmerkungen

1: Louis H. Sullivan: Ornament in architecture, 1892 (in: Sherman Paul: Louis H. Sullivan - Ein amerikanischer Architekt und Denker, Frankfurt / Main 1963, S.130-134) [Zurück]

Impressum

Diese Seite wurde erstellt und verfasst von Stefan Kamphans, Kassel den 01 Feb 2008. Alle Zitate sind als solche gekennzeichnet. Für Kommentare und Fragen bin ich unter folgender e-mail Adresse zu erreichen:

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